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Über das erste Jahr mit Kind

Unglaublich, bald wird Louisa ein Jahr alt. Dieses erste Jahr mit ihr auf der Welt, war für mich das bisher größte. Extreme Veränderung in alle Richtungen, und diese Liebe. Die tiefer geht als alles bisher bekannte, die das eigene, endliche Sein sich ganz anders spüren lässt. Und die Anstrengung, wenn Louisa nicht einschläft und ich sie trage und trage, mit ihren bald 10kg ganz schön sportlich. Wenn ich 1000 To-do’s im Kopf habe wegen meiner Selbstständigkeit, Haushalt, Administration, und doch immer wieder im Kreis gehe, bis sie eingeschlafen ist. Der Moment, wo ich aus dem Zimmer gehe und nicht weiß, was ich als erstes machen soll. Und der Moment wo ich nicht aufhören kann, sie anzuschauen.

 

Die Veränderungen des eigenen Wesens sind extrem. Ich wurde ‚schrulliger‘ als Mama. Die eigenen Unsicherheiten und vermeintlichen Fehler und Mängel kommen stärker zum Vorschein. Und die Frage, was man jetzt mit ihnen macht. Denn für mein Kind bin ich ganz perfekt, genauso, wie ich bin und mit allem, was dazu gehört. 

 

Es ist so viel, so extrem, das alles in Worte zu fassen, ist schwierig. Während ich diese Zeilen tippe, bin ich erschöpft, müde und kraftlos. Und dass, obwohl ich es als Yogalehrerin doch besser wissen müsste! Doch die erste Zeit mit Kind war für mich einfach die bisher größte Achterbahnfahrt des Lebens – der Gefühle, der körperlichen Zustände, der Beziehungen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich weiß erst jetzt, was Liebe ist. Oft frage ich mich: gibt es universelle Gedanken und Erfahrungen, oder ist wirklich bei jeder Mutter alles anders? 

Im Kreis gehen

Was ich definitiv anders machen würde, ich würde so viel Zeit und auch Geld wie möglich und nötig in meine Wohnung investieren, bevor das Kind zur Welt kommt. So viel im Kreis gehen, wie mit Baby, tut man sonst nicht. Ich weiß jetzt genau, wo der Boden knackt, welche Tür wann quietscht, und was ich eigentlich in der Wohnung wie gestalten möchte – ich werde nach wie vor täglich daran erinnert und komme aber jetzt erst recht nicht dazu, was zu tun, was nicht sein muss. Was ich schon von vielen Müttern gehört habe: man geht mit dem Kind im Kreis um es zum Schlafen zu legen und einstweilen geht man seine To-do Liste durch: heute noch: Wäsche waschen, verräumen, Bad putzen; Newsletter versenden, Insta-Post, ein paar Seiten aus dem neuen Yoga-Journal lesen, Meditieren. In der Sekunde, wo man das Kind ablegt und das Zimmer auf Zehenspitzen verlässt, verlässt einen allerdings auch oft die Kraft. Ich muss mich erstmal hinsetzen, sammeln, und dann: Prioritäten: womit fange ich jetzt an? Wie lange wird Louisa schlafen? An manchen Tagen geht sehr viel, an anderen kaum etwas. Und beides ist ok. Doch das zu akzeptieren, dafür brauchte ich jetzt fast ein Jahr… 

Veränderung

Die innerliche Veränderung, ich spürte sie ganz extrem unmittelbar nach der Geburt, so viel Gefühl und Poesie hatte ich noch nie in mir, wie in den ersten Wochen mit Louisa. Ich hatte eine lang blutende Geburtswunde und das mitten im Sommer, trotzdem war mein Herz und mein ganzes Wesen auf Liebe ausgerichtet, ich konnte nicht aufhören zu grinsen und zu strahlen. Egal was war: Couretage, weil noch Plazenta in der Gebärmutter ist? Kein Problem! Den Stuhldrang nicht gut kontrollieren können – was solls! 35 Grad und ich bin mit Baby – na und! Es war echt eine herrliche Zeit… bis zum Abstillen, als Louisa in etwa 6 Monate alt war. Da stürzten meine Hormone ab und ich fiel in ein Loch. Anfangs dachte ich noch, das legt sich bestimmt bald wieder. Doch dem war nicht so. Über 2 Monate hatte ich schreckliche körperliche und geistige Zustände, konnte kaum mehr essen, hab massiv abgenommen, ständig war mir heiß und kalt, übel und grauslich, ich war schwach und das schlimmste: ich konnte in der Nacht nicht für Louisa da sein. Vitaminpräparate, ewige Spaziergänge in der Dunkelheit mit unserem Hund und viel Zeit haben geholfen. Und als es überstanden war, ging es bergauf, langsam, aber stetig. Und nun spüre ich eine weitere Veränderung, eine gewisse transformierende Kraft, die mir vor allem beim Yoga auffällt: ich kann länger beim Atem bleiben, ich kann mich besser auf mich fokussieren, ich glaube an mich und an das was ich tue. Ein neues Selbstbewusstsein, Selbstverständnis und eine neue Kraft sind in mir geboren. Dank Louisa darf ich mehr so sein, wie ich bin. Das berührt mich zutiefst und ich frage mich, wie ich das meiner Tochter je danken kann… 

Grenzen

Eines der wichtigsten Themen für mich. Fast das gesamte erste Jahr wollte ich auswandern. Mir war die Großfamilie, vor allem auf meiner Seite, doch auch auf der meines Partners, viel zu viel. Alle sind so nah, alle woll(t)en uns ständig sehen. Mich hat das in die Ecke gedrängt, ich konnte nicht mehr atmen, Yogalehrerin hin oder her, ich wollte einfach weg und in meine Mutterrolle finden. Doch wir haben es auch hier geschafft 😊. Ein ‚einfaches‘ Nein-Sagen reichte meistens und mittlerweile hat sich die Situation mehr oder weniger eingespielt. Auch außerhalb der Familie, in unserer Kleinstadt, wo jeder irgendwie jeden kennt, ist es mir als Mutter noch wichtiger, keinen Bullshit zu tolerieren: du magst mich nicht? Kein Problem, du musst nicht hallo sagen. Ich aber auch nicht zu dir. Leben und leben lassen. Die Familie und Menschen in der Gemeinschaft mehr akzeptieren als verstehen zu wollen, das war für mich ein Schlüsselmoment. Das zu erkennen. Ich muss niemanden verstehen und auch mich muss niemand verstehen! Halleluja… Erkenntnisse um Erkenntnisse werde ich reicher, seitdem ich ein Kind habe, kann ich mein Leben besser leben!

Anstrengung

Und doch ist es das anstrengendste, zeitintensivste und verrückteste, was ich je getan hab: Mutter werden, Eltern werden. Das Leben ist schon ohne Kind chaotisch, mit Kind geht dann alles in die Superlative. Wir wachsen… und dann hemmen wir uns wieder, weil wir uns hassen! Wir gedeihen… und dann stehen wir kurz vor der Trennung. Ich bin so froh, dass wir es bisher als Paar geschafft haben und sehr gespannt, wie es weitergeht. Louisa schläft durch, ich traue mich das gar nicht schreiben, denn Schlafrhythmen bei Kindern sind etwas sehr labiles und das beeinträchtigt die Lebensqualität massiv. Meist bin ich trotz gut-schlafendem Kind schlicht zu müde, um abends an irgendwas zu denken außer Schlafen. Manchmal trink ich noch ein paar Gläser Wein, manchmal schaue ich fern, ob mein Partner dabei da ist oder nicht, ist mir egal und ich weiß, dass es ihm genau so geht. Wir freuen uns, wenn wir mal einen Abend haben, wo wir beide gut drauf sind und plaudern. Auch das gibt es bei uns zum Glück und dafür bin ich sehr dankbar. Wenn ich nicht gerade zu müde bin, um dankbar zu sein… es ist auch tatsächlich das Herumheben des Kindes so unfassbar anstrengend. Ich mache genug Yoga, um kaum Rückenschmerzen zu haben, aber der Gedanke, dass sie immer größer wird und wir sie aber noch lange tragen werden... An schlechten Tagen weiß ich nicht, wie wir das jetzt ‚ein Leben lang‘ schaffen sollen. Und da hilft die Großfamilie dann wieder oder auch, wenn ich arbeite. Gerade ist Louisa mit ihrer Oma spazieren. 

Liebe

Ich habe seit der Geburt von Louisa kein Buch gelesen, doch ich bin sicher, es gibt 1000e Texte über die Liebe, die ein Kind auslösen kann. Bei mir war das extrem. Ich bin ein hochsensibler Mensch, es war und ist das wunderschönste auf der ganzen weiten Welt, ein Kind zu haben. Es ist als wäre die Liebe ein neuer Begriff, neu erfunden, stärker, tiefer, seeliger, heiliger. Es müsste eigentlich ein anderes Wort für die Liebe zu einem Kind geben, allein aus Respekt gegenüber der ‚anderen‘ Liebe zum Partner, den eigenen Eltern und Freunden.

 

Ich möchte mein Kind für immer beschützen und weiß gleichzeitig, dass das nicht geht. Ich denke das ist universell, ich denke fast allen Eltern geht es so. Was tun? Ich werde Louisa keine Scheinwelt aufbauen, in der alles gut ist und sie früh damit erziehen, dass es Menschen gibt, denen es schlecht geht. Dass es uns gut geht und ich als ihre Mutter trotzdem schlechte Tage, Zweifel, schwierige Momente und Charakterschwächen habe. Ich frage mich an dieser Stelle, wie gemeinsames Erziehen funktionieren soll. Rainer und ich haben zu so ziemlich jedem Punkt andere Sichtweisen. Ich denke es ist doch ok, wenn Papa dies sagt und tut und Mama jenes? Der nächste Erziehungsratgeber ist schon bestellt und per Post auf dem Weg zu mir… ich möchte einfach alles richtig machen mit diesem Wesen, das ich mehr liebe als mein Leben. Auch wenn ich natürlich weiß, dass ich Fehler mache und auch ich ungesunde, unaufgelöste Muster weitergebe und trotzdem darf alles gut so sein, wie es ist. 

 

Zusammenfassend: es ist so viel, das ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte. Wenn Eltern davon sprachen, dass sie müde sind, dass das Kind zu den Großeltern bringen anstrengend ist, dass Routinen wichtig sind… nein, nein, dachte ich, wirklich überheblich: bei mir wird das anders.

Unsere Tochter Louisa hat von Anfang ganz gut geschlafen und war ein Sonnenschein. Trotzdem war es so mega anstrengend wie ich es nie für möglich gehalten habe. Ich war und bin keine Glucke, Louisa schläft in ihrem eigenen Zimmer im Gitterbett seitdem sie 4 oder 5 Monate alt war (heißt natürlich nicht, dass alle Mütter auf ihren Kindern sitzen, nur weil das Kind bei ihnen im Bett schläft!), habe sie von Anfang an ihrem Papa und ihrer Oma gegeben und auch betreuen lassen und so weiter und so fort und trotzdem: ich interessiere mich jetzt mehr für das Fernsehprogramm, als für Sommer-Events. Beine hoch und entspannen hat eine neue Priorität für mich und nicht nur das. Vieles von dem, was mir Jung-Eltern vorab gesagt haben und ich mir dachte: nie mit mir! Es hat sich jetzt doch bewahrheitet. Doch: vieles auch nicht 😊 ich bin sehr froh, dass ich von Anfang an Zeit für mich hatte, auch wenn ich sie hauptsächlich in Arbeit gesteckt habe, ich hätte auch locker jeden Tag 1h Yoga und Mediation untergebracht. Apropos… ich bin dann mal weg.

 

Ich wünsche euch allen, wenn ihr einen Kinderwunsch habt, dass ihr euch traut, ihn zu verwirklichen und hoffe und bete für alle, dass sie ihre Kinderwünsche erfülllt bekommen! Sie sind wirklich die weisen Geschöpfe die in die Hose machen, die uns das Leben nochmal anders anfühlen lassen und es größer machen.

 

 

Ich würde mich echt über dein Kommentar zu diesem Blog-Eintrag freuen. 😊  

 

Eure Verena

 

 

PS: Ich freue mich, dich in meiner nächsten Yoga-Einheit auf der Matte zu sehen 😊 Yoga macht alles besser, immer und immer wieder 😊. Hier geht es zum Stundenplan.

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Kommentare: 2
  • #1

    Irmi (Freitag, 08 Juli 2022 15:51)

    Liebe Verena! Das sind sehr schöne und ehrliche Worte, die die Mutterrolle sehr realistisch beschreiben ;-). Danke

  • #2

    Teresa (Freitag, 08 Juli 2022 19:18)

    Wunderbar, wenn wir endlich wissen dürfen, was das Wort Liebe eigentlich meint. Alles, alles, alles drin. Und mehr. Danke für deine schönen Zeilen. I feel you!